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Revision der ZPO: Wichtige Neuerungen ab 2025

Am 17. März 2023 verabschiedete das Schweizer Parlament die umfassende Revision der Zivilprozessordnung (ZPO). Diese Gesetzesänderung, unter dem Motto "Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung", tritt am 1. Januar 2025 in Kraft. Sie zielt darauf ab, Schwächen der bisherigen Regelungen zu beheben und die Prozessführung effizienter und gerechter zu gestalten. Doch was steckt genau hinter dieser Reform, und welche Neuerungen erwarten die Praxis?

Fabian Wienert, Rechtsanwalt und Notar, Bangerter Friedli & Partner, Thun

1. Kostenrecht: Entlastung und Effizienz

Die finanzielle Belastung im Zivilprozess war lange ein zentraler Kritikpunkt. Neben den hohen Gerichtskosten wurden auch die teilweise schwer abschätzbaren finanziellen Risiken und die ungleichen Bedingungen für die Parteien bemängelt. Die Revision bringt nun mehrere gezielte Verbesserungen:

Begrenzte Kostenvorschüsse: Die Vorschüsse für Gerichtskosten werden auf maximal 50 % der geschätzten Gesamtkosten begrenzt (Art. 98 nZPO). Volle Kostenvorschüsse können verlangt werden in Fällen der internationalen Handelsgerichtsbarkeit und bei direkten Klagen vor der oberen kantonalen Instanz (Art. 98 Abs. 2 lit. a nZPO), im Schlichtungsverfahren (Art. 98 Abs. 2 lit. b nZPO), im summarischen Verfahren mit Ausnahme der vorsorglichen Massnahmen und der familienrechtlichen Streitigkeiten (Art. 98 Abs. 2 lit. c nZPO) sowie im Rechtsmittelverfahren (Art. 98 Abs. 2 lit. d nZPO).
Klare Regelungen zur Kostenverteilung: Die Möglichkeit der solidarischen Haftung in Fällen der einfachen Streitgenossenschaft entfällt (Art. 106 Abs. 3 nZPO). Damit trägt jede Partei nur noch ihre eigenen Kostenanteile.
Erweiterte unentgeltliche Rechtspflege: Neu können Bedürftige auch im Rahmen von vorsorglichen Beweisführungen auf unentgeltliche Prozessführung zählen (Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz nZPO).

2. Stärkung des Schlichtungsverfahrens

Zudem wird das Schlichtungsverfahren gestärkt. Die Schlichtungsbehörden erhalten erweiterte Kompetenzen und können bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 10'000.00 einen Urteilsvorschlag (neu Entscheidvorschlag genannt) unterbreiten (Art. 212 lit. c nZPO). Die Entscheidkompetenz bleibt unverändert bei CHF 2'000.00. Eine Erhöhung der Entscheidkompetenz auf CHF 5'000.00 wurde intensiv diskutiert, letztlich aber verworfen.

3. Handelsgerichtliche Zuständigkeit

Neu sind die miet- und arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vollumfänglich von der handelsgerichtlichen Zuständigkeit ausgenommen (Art. 6 Abs. 2 lit. d nZPO).

4. Einführung internationaler Handelsgerichte

Eine weitere Neuerung ist die Möglichkeit für die Kantone, spezialisierte Gerichte oder Gerichtskammern für internationale Handelsstreitigkeiten einzurichten (Art. 6 Abs. 4 lit. c nZPO). Nötig ist aber die Zustimmung der Parteien (Art. 6 Abs. 4 lit. c Ziff. 3 nZPO). Bei diesen internationalen handelsrechtlichen Streitigkeiten können die Kantone vorsehen, dass auf Antrag sämtlicher Parteien die englische Sprache für Rechtsschriften, Verhandlungen und Entscheide verwendet wird. Im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht können die Rechtsschriften auf Englisch verfasst werden, allfällige Verhandlungen und die Entscheide erfolgen aber nicht auf Englisch (Art. 42 Abs. 1bis nBGG).

5. Familienrechtliche Verfahren

Neu gilt das vereinfachte Verfahren für das kontradiktorische Scheidungsverfahren (Art. 288 Abs. 2 und Art. 291 Abs. 3 nZPO) und selbständige Unterhaltsklagen (Art. 295 nZPO).

6. Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung

Art. 141a und Art. 141b nZPO regeln den Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung. Ihr Einsatz bei mündlichen Prozesshandlungen ist von der Zustimmung der Parteien abhängig (Art. 141a Abs. 2 nZPO). Art. 170a nZPO regelt neu, dass das Gericht die Einvernahme einer Zeugin oder eines Zeugen mittels Videokonferenz oder anderen elektronischen Mitteln durchführen kann; der Gesetzestext sieht hier kein Erfordernis der Zustimmung der Parteien vor.

7. Novenrecht

Wenn weder ein zweiter Schriftenwechsel noch eine Instruktionsverhandlung durchgeführt wurde, dürfen neue Tatsachen und Beweismittel in der Hauptverhandlung im Rahmen des ersten Parteivortrags gemäss Art. 228 Abs. 1 nZPO uneingeschränkt eingebracht werden (Art. 229 Abs. 1 nZPO). Damit wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung korrigiert, die verlangte, dass neue Tatsachen und Beweismittel in solchen Fällen "vor den ersten Parteivorträgen" ins Verfahren einzubringen sind.

Hat ein zweiter Schriftenwechsel und/oder eine Instruktionsverhandlung stattgefunden, können die neuen Tatsachen und Beweismittel innerhalb einer vom Gericht festgelegten Frist oder, bei Fehlen einer solchen Frist, spätestens bis zum ersten Parteivortrag in der Hauptverhandlung vorgebracht werden, wenn sie erst nach Abschluss des Schriftenwechsels oder nach der letzten Instruktionsverhandlung entstanden sind (echte Noven) oder bereits vor Abschluss des Schriftenwechsels oder vor der letzten Instruktionsverhandlung vorhanden waren, aber trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten (unechte Noven) (Art. 229 Abs. 2 nZPO). Für die nach den ersten Parteivorträgen entstandenen oder entdeckten echten und unechten Noven gilt ebenfalls, dass sie berücksichtigt werden können, wenn sie in der vom Gericht festgelegten Frist oder, bei Fehlen einer solchen Frist, spätestens in der nächsten Verhandlung vorgebracht werden (Art. 229 Abs. 2bis nZPO).

8. Unbezifferte Forderungsklage

Bei den unbezifferten Forderungsklagen (Art. 85 ZPO) gilt neu, dass das Gericht eine Frist zur Bezifferung ansetzt (Art. 85 Abs. 2 erster Satz nZPO).

9. Replikrecht

In Art. 53 Abs. 3 nZPO wird neu bestimmt, dass die Parteien zu sämtlichen Eingaben der Gegenpartei Stellung nehmen können und das Gericht dazu eine Frist von mindestens zehn Tagen ansetzt.

10. Entscheideröffnung im Dispositiv

Die Gerichte sollen "in der Regel" ihre Entscheide ohne schriftliche Begründung eröffnen (Art. 239 Abs. 1 nZPO), und zwar auch die Rechtsmittelinstanzen (Art. 318 Abs. 2 und Art. 327 Abs. 5 nZPO; Art. 112 Abs. 2 nBGG). Am Recht der Parteien, innert Frist eine Begründung zu verlangen, ändert sich nichts (Art. 239 Abs. 2 ZPO).

11. Fazit

Die Revision der ZPO bringt somit bedeutende Änderungen mit sich, die den Zugang zum Gericht erleichtern und die Effizienz der Verfahren steigern sollen. Insbesondere die Anpassungen bei den Prozesskosten und die Stärkung der Schlichtungsverfahren sind Schritte in Richtung einer bürgerfreundlicheren Justiz. Die Einführung internationaler Handelsgerichte und der Einsatz elektronischer Mittel reflektieren zudem die fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung des Rechtswesens.